Im Bauwagen Althengstett

... über Jugend auf dem Dorf, junges Wohnen und ehrliche Fragen

Wo geht man als junger Mensch hin, wenn man Samstag Abend Party in Althengstett machen möchte? - In den Bauwagen.

Nach langer Suche fand die Initiative junger Leute aus dem Ort mit Unterstützung von Bürgermeister Dr. Götz einen Standort. Ein wichtiges Kriterium bei der Standortwahl: "wo sie am wenigsten stören". Denn Bauwägen werden gerne als laut und chaotisch wahrgenommen und erleben reichlich Widerstände.

Ich treffe im Bauwagen Althengstett auf ein super organisiertes Team, das schon einiges auf die Beine gestellt hat. In Eigenregie wurde der Bauwagen in den vergangenen Jahren ausgebaut: entkernt, isoliert, elektrifiziert und natürlich mit Sound und Licht versorgt. So ein Bauwagen kann erstaunlich viele Menschen aufnehmen - bis zu 40 hätten schon reingepasst, erzählt mir Hubert.

In den vergangenen Jahren habe ich über Instagram mitverfolgt, wie der Wagen hergerichtet wurde und sich das Team immer wieder neue Motto-Partys überlegt. Ich erwische den 80/90er - Jahre - Abend und fühle mich mit der Playlist von Moritz und Stefan quasi direkt in die Jugend zurückversetzt.

Das Bauwagen-Team erzählt mir über den Wagen, das Team und auch das neueste Projekt: den Mai-Wagen. Die genauen Größenangaben habe ich vergessen, aber die Bilder noch im Kopf: ein enorme Konstruktion, das das Team da baut, um am 1. Mai mit rund 30 Teilnehmer*innen 12 Stunden und 160 km unterwegs zu sein. Das ist dann doch eher kein Bastel-Projekt sondern schon ausgewachsenes Handwerk. Und das lerne ich im Laufe des Abends auch: den Bauwagen organisiert die Zukunft unseres Althengstetter Handwerks. Vom Elektriker über den KFZ-Mechatroniker bis zum Zimmermann ist praktisch jedes Handwerk im Team vertreten.

Gut organisiert und verantwortungsvoll - das seien sie auch, versichert mir das Team. Man kümmert sich - dass rund um den Bauwagen nach einer Party wieder aufgeräumt wird. Dass sich die Gäste benehmen. Da war es in der Anfangszeit auch mal notwendig, Platzverweise zu erteilen, bis die Spielregeln allen klar waren.

Im Laufe des Abends führe (besser gesagt: schreie) ich Gespräche in wechselnder Konstellation. Mich freut, dass ich von den jungen Erwachsenen einfach angesprochen werde und auch die kritischen Fragen auf den Tisch kommen. Zum Beispiel: welcher Partei gehöre ich an? Mir ist Transparenz wichtig. Ich bin privat Mitglied bei den Grünen. Ich trete aber als parteiübergreifende oder parteilose Kandidatin an und das aus Überzeugung. Auf kommunalpolitischer Ebene müssen alle Fraktionen gut und konsensorientiert zusammenarbeiten. Denn wir lösen konkrete Probleme nur in unserem lokalen Umfeld. Die Bürokratie, die uns von der Bundes- oder Landesebene auferlegt wird, bringt uns auch in der Kommunalverwaltung manchmal zur Verzweiflung.

Wie wird sich das "private Grün" niederschlagen, wird nachgefragt? - Nun, natürlich stehe ich für eine Richtung. Mir ist sozialer Zusammenhalt und Teilhabe und soziale Gerechtigkeit sehr wichtig. Und natürlich geht uns alle das Thema Klimaschutz und Umweltschutz an - das haben mittlerweile eigentlich alle Parteien erkannt. Teilhabe bedeutet für mich beispielsweise, dass Jugendliche eben genau so ein Projekt wie den Bauwagen umsetzen können. Junge Leute sollen einen Platz einnehmen dürfen in der Gesellschaft. Dazu gehört für mich auch, bezahlbaren Wohnraum für junge Menschen zu denken und zu planen, die von zuhause ausziehen möchten, eine Familie gründen oder aber nach Althengstett zuziehen, weil sie hier eine Ausbildungsstelle gefunden haben oder in den Arbeitsmarkt einsteigen.

Die zweite Frage, die mir an diesem Abend immer wieder gestellt wird: wie ist es einzuordnen, dass ich muslimisch bin? - Gerne antworte ich auch darauf, sage aber immer gleich: religiöse Entscheidungen sind so persönlich, dass kein anderer sie nachvollziehen können muss.

Was bedeutet meine Religion in Bezug auf meine Eignung als Bürgermeisterin? - Ich bin überzeugt, dass für mich, wie für die meisten Menschen gilt, dass Religion nur ein Aspekt der persönlichen Identität ist. Zudem ein Aspekt, der gar nichts über die Kompetenzen aussagt, die man als Bürgermeisterin haben sollte: Führungsstärke, Entscheidungskraft, Weitblick und auch ein offenes Ohr und Sensibilität für die Belange der Menschen, die in der Gemeinde leben. Ich bin ein sehr liberaler Mensch und ich bin überzeugt vom Wert der Freiheiten, die das Grundgesetz jedem Menschen in Deutschland zuspricht. Dazu gehört die Religionsfreiheit, aber auch die Freiheit, dass ich als Frau in diesem Land jede Bildungschance wahrnehmen, meinen Partner selbst aussuchen und auch nach einem hohen politischen Amt streben kann. Es sind gerade diese Freiheiten, die leider immer wieder in der Geschichte der Menschheit von Gruppen im Namen einer Religion - und hier stehen Gruppierungen, die sich auf den Islam beziehen, leider zeitgenössisch besonders im Fokus - in Frage gestellt und eingeschränkt wurden. Und die Einschränkungen betrafen besonders häufig Frauen. Mir ist es darum schon immer ein Anliegen gewesen, auch die Frauenarbeit in Althengstett zu stärken - sei es im Interkulturellen Frauentreff oder auch bei Angeboten für alle Frauen wie den jährlichen Aktivitäten zum Frauentag, die ich 2022 initiiert habe.

Außerdem: ich arbeite seit fast 7 Jahren in der Gemeinde, man kennt und schätzt meine Arbeit, ich bin keine Andere geworden und nach Religion hat bisher noch niemand gefragt. Weil sie auf meine Arbeit keine Auswirkung hat.

Wie gehe ich dann mit christlichen Gruppen um? - Nun, genauso wie die letzten 7 Jahre. Ich habe immer schon bei meiner Arbeit aktiv den Kontakt zu unseren Kirchen und verschiedenen christlichen Glaubensgemeinschaften gesucht und diese einbezogen. Beispielsweise bei der Althengstett-Rallye oder bei anderen Aktivitäten. Da ich selbst gläubig bin, verstehe ich die Bedeutung von Glauben für viele Menschen. Und da ich in meiner Jugend selbst lange aktiv war in der Evangelischen Kirche, im Team des Kindergottesdienstes, in der Konfirmandenarbeit und als Mitarbeiterin und später Leitung bei CVJM-Ferienlagern verstehe ich auch die soziale Rolle, die Kirchen und Glaubensgemeinschaften spielen. Ich setze mich jederzeit für ein gutes Miteinander aller Glaubensgemeinschaften ein.

Dem Bauwagen-Team möchte ich für den freundlichen Empfang, den lustigen Abend und vor allem für eure Offenheit und die ehrlichen Fragen danken!

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